Eine Begegnung mit Willy Anker

Gerhard Steinecke beschäftigte sich als Historiker und dann als ehrenamtlicher Meißner Stadtchronist über 25 Jahre bis zu seinem Tod 2013 mit Ankers Lebensweg, worüber er in Beiträgen wie im Meißner Tageblatt und  in der Sächsischen Zeitung sowie in einer posthum erschienenen Ankerbiografie eindrucksvoll berichtete. Wegbereitend  war für Gerhard Steinecke als Schlüsselerlebnis eine Begegnung mit Willy Anker im Jahre 1959.


In der Ankerbiografie schreibt er dazu:
„Ich fand mich besonders motiviert durch meine Erinnerung an die persönliche Begegnung mit Willy Anker vom 19.Mai 1959 in seiner letzten Wohnung in Meißen, Burgstraße 29. Damals hatte ich meine Fahrten zwischen dem Studienort Leipzig und dem Heimatort Tharandt dazu genutzt, in Orten an der Bahnlinie heimatgeschichtliche Nachforschungen zum Kriegsende 1945 vorzunehmen, was mich an diesem Dienstag nach Pfingsten die Rückfahrt zum Studium in Meißen unterbrechen ließ. Unangemeldet sprach ich im Stadtarchiv vor, wo mir der Leiter des Archivs und des Museums, der Historiker Helmut Reibig, wegen des Mangels an Unterlagen eine Befragung Willy Ankers anriet.
Auf meine Bedenken, dort so unangekündigt vorzusprechen, ermutigte er mich mit den Worten, dass Willy Anker völlig problemlos und ein Arbeiterfunktionär von einfacher Herzensbildung sei. So entschloss ich mich doch, ihn aufzusuchen, trotz allem damit rechnend, unwirsch oder misstrauisch empfangen zu werden, wie ich es schon oft von leitenden Funktionären erfahren hatte. Doch bereits beim Betreten des Hauses in der Burgstraße und beim Aufstieg bis zum 3. Stockwerk wurde ich angesichts des abgewohnten und dunklen Treppenhauses sowie der weder anspruchsvollen noch altersgerechten Wohnlage nachdenklicher. Auf mein Klingelzeichen wurde mir zwar sogleich – es war wohl die Ehefrau – geöffnet, aber mit Rücksicht auf den Mittagsschlaf wurde ich um ein späteres Wiederkommen gebeten. Dafür war aber dann das Gespräch so frei von Befremdung, dass ich mich bei einem guten Bekannten wähnte. Nicht nur, dass mir Formalitäten erspart blieben, dass ich mich weder erklären noch ausweisen musste und auch von ideologischen Belehrungen verschont blieb, ermunterte mich die einfache Wesensart Willy Ankers zu freimütigen Fragen, auf die ich geradezu väterlich Auskunft erhielt. Und sicher wäre es ein längerer Gedankenaustausch geworden, hätte mich nicht die Weiterfahrt nach Leipzig bedrängt, so dass mir nur wenige Notizen vorliegen. Aber die Erinnerung ist lebendig geblieben, weil die Begegnung so eindrucksvoll warmherzig und schlicht, so frei vom üblichen Misstrauen und erhobenen Zeigefinger war.

Gerhard Steinecke: Willy Anker. Ein Leben im Widerstreit